Hier schreibe ich, Hiltrud Enders aus Düsseldorf, über eine besondere Herangehensweise an Fotografie, die wenn man genau hinschaut, eine Schulung der Wahrnehmung ist.
Ich bin eine der Akteurinnen des Miksang Institute for Contemplative Photography. Obwohl unsere Lebenswelten sehr unterschiedlich sind, ist die Wahrnehmung unseres Alltags und der Ausdruck dessen mit dem Medium Fotografie sehr verbindend. Eine nonverbale, visuelle, sinnliche Sprache.
Seit 25 Jahren bin ich Architektin und habe immer schon sehr gerne fotografiert. 2006 entdeckte ich die Miksang Fotografie. Michael Wood, mein kanadischer Lehrer, gab damals einen Workshop in Köln. Ich nahm teil und war sofort Feuer und Flamme. Ich genoss diese wunderbare Spielerei mit meiner Wahrnehmung. Seitdem habe ich die Kamera täglich dabei. Ich besuchte immer weitere Workshops in den Niederlanden und den USA, übersetze Texte und Workshops ins Deutsche. Seit 2012 bin ich Miksang Trainerin, die einzige in Deutschland. Ich biete aufeinander aufbauende Workshops an und regelmäßige Praxistage als Gelegenheit für die Teilnehmer_innen ihr Erleben zu vertiefen und sich in der Gruppe auszutauschen.
Übersetzt heißt das tibetische Wort Miksang gutes oder auch gereinigtes Auge und ist ein Lernfeld für klares Sehen. Für mich ist die kontemplative Fotografie eine persönliche und eine berufliche Bereicherung. Im Miksang geht es darum, den Blick von Konzepten zu befreien. Das Ziel dieser Art des Fotografierens ist es, Sicherheit in der Wahrnehmung zu gewinnen.
Mich begeistert besonders, dass dieses Training einen Zugang zu Kreativität und Ausdruck für ALLE ermöglicht. Die Wahrnehmungsübungen und Foto-Aufgaben können die Arbeit von Fotografinnen und Fotografen verändern oder auch Anfänger_innen einen guten Einstieg vermitteln. Die heutige Fototechnik ist soweit, dass es sehr leicht ist im Bild genau das abzubilden, was ich gesehen habe. Grundlage ist nicht Begabung, Talent oder technische Finesse. Vielmehr setzen wir diesen schweren Rucksack voller Gestaltungsvorgaben und ‚Was-macht-ein-gutes-Bild-aus’ ab und beschäftigen uns mit frischer, ja fast kindlicher Wahrnehmung. Darin liegt auch der Schlüssel zu der Intensität, welche die Bilder ausstrahlen.
„Die Praxis des Miksang ist eine ständige Unterbrechung von drei Gewohnheiten: Geschwindigkeit, Impuls und Ambition. Anstatt dich in diese hineinzugeben, lande völlig im Moment, atme tief und erlebe dein Erleben.“ Michael Wood im Buch ‚Opening the Good Eye‘
Mein ganz normaler Arbeitstag als Architektin ist immer auch durchdrungen von Erlebnissen mit der Kamera. Sei es, dass ich auf meinen alltäglichen Wegen mit der Kamera eintauche ins Sehen oder auf der Baustelle Dinge intensiv wahrnehme. Oft ist das, was ich sehe, lustig manchmal skurril – so wie Alltag eben ist. Ich empfinde diese Freiräume als großen Luxus.
Durch diese Praxis hat sich auch mein Blick auf die Architektur verändert. Ich nehme mir in der Planung diese Momente der Konzentration, will nicht allein technisch durch die Wand, wenn es hakt. Ich habe gelernt, wegzukommen von den scharfen schnellen Urteilen: Was ist gut, was ist schlecht? Die Frage ist eher: Was eröffnet sich, wenn ich wirklich schaue?