Es ist einer dieser Tage, an denen ich auf freie Zeit umschalte, Dinge sich ergeben – hintereinander. Die Woche war intensiv, ich genieße es mich treiben zu lassen. Zur Mittagszeit lande ich mit einem Falafel-Sandwich in einem sonnigen Hof im arabischen Viertel. Neben einem türkischen Supermarkt sind die Verpackungen zu festen Pappwürfeln in verschiedenen Farben gepresst. Ich wähle den blauen Würfel mit roten Flecken – vielleicht sind es Abbildungen von Tomaten? – und mache es mir in der Sonne gemütlich. Der freundliche Mann, der hier aufräumt, nickt mir zu und lacht. Einige Minuten später kommt er mit einem älteren Herrn zurück. Er mag um die 75 sein und trägt einen grauen Anzug. Der Junge hilft dem Alten auf dem Würfel aus braunem Karton, unmittelbar hinter mir, Platz zu nehmen und hockt sich selbst auf eine Palette. Wir lachen. „Die Sonne scheint so schön heute.“ sage ich. „Ja, endlich warm!“ Pause. Für einen Moment wissen wir nicht was wir sagen sollen, aber wir bilden bereits eine Gemeinschaft.
„Er spricht fünf Sprachen“, sagt der Jüngere und deutet wertschätzend auf seinen Freund. „Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Russisch und Italienisch.“ „Ich kann leider keine davon – nur etwas Spanisch“ erwidere ich. Auf Italienisch sagt der Herr etwas zu mir, was sich mir erschließt als Italienisch und Spanisch seien sich sehr ähnlich. ‚Si!’ sage ich.
Mein Kopf befindet sich bereits mitten in einer Sprachenkonfusion. Wieso habe ich denn jetzt spanisch eingeworfen – niemand hatte das erwähnt – und ich wurde auf Deutsch verstanden. Ich spreche außer ,Merhaba’ kein Wort Türkisch, nicht mal ‚Bitte’ und ‚Danke’. Lüften und Teşekkür ederim. Kurdisch, Arabisch, Persisch: ich kann den Klang nicht unterscheiden. Bei meiner Arbeit auf der Baustelle, starte ich meinen Sprachübersetzer, um wenigstens ein bisschen Kommunikation zu ermöglichen und nicht Baustelski zu sprechen in halben Sätzen mit Ausrufezeichen wie ‚Müll weg!’ oder „Wann fertig?!“ Es wird oft lustig, wenn etwa die Stimme aus meinem Smartphone „Der Putz ist schön glatt geworden“ auf Kurdisch sagt.
„Si bedeutet Ja?“ fragt der jüngere Mann und holt mich aus meinen Gedanken. Er selbst spreche Persisch, Deutsch und Türkisch. Griechisch habe er leider verloren. „O, ich habe meins auch verloren. Zu wenig Übung!“ Dann tauschen wir griechische Brocken aus ‚Εισαι καλα? ευχαριστώ πολύ‘ und lachen. Ich unterdrücke den Impuls Englisch zu sprechen, um Ihnen etwas zu erzählen und bemerke wieder diese ungeschickte Verwirrung in meinem Sprachhirn. Es fühlt sich rassistisch an, als ob ich die Schublade ‚fremd‘ öffne? Deutliches Deutsch ist doch viel hilfreicher. Ich möchte Ihnen von Etel Adnan erzählen, denn auch sie sprach Türkisch, Griechisch, Arabisch und zusätzlich Französisch und Englisch. Und ihr Geburtstort Damaskus fiel auch bereits in unserer Unterhaltung. „Im Museum wird Etel Adnan gezeigt“ beginne ich. „Sie ist eine Künstlerin aus Damaskus und malt leuchtende Bilder.“ Freundliche, fragende Blicke. Ich kann mich überhaupt nicht verständlich machen, versuche verschiedene Worte… Art, Arte, Museo, versuche sie unterschiedlich auszusprechen. Mein Denken wandert zu absurden Überlegungen, die ich sowieso nicht beantworten kann: Woher stammen die Worte Museum und Kunst? Haben sie griechische Wurzeln oder lateinische? Ich bemerke, wie mich die Mühe wegträgt.
„Museum? Wohnst du da?“
Mit dem letzten Happen Falafel verabschiede ich mich von diesem fröhlichen Duo. „Byebye“ winken sie mir nach und „Tschüss“. Sie lachen.
Wenige Tage später erzählt die Moderatorin Siham El-Maimouni im Fernsehen über Düsseldorf-Oberbilk, über das sogenannte Maghreb-Viertel, in dem ich meine Falafel aß. Die Beschreibung Maghreb beschreibt ja lediglich den Westen Nordafrikas, aber es heißt marokkanische Menschen prägten den Stadtteil. Sihams Familie, wie so viele andere Familien dort, kam aus Nador, nahe dem Rif-Gebirge im Norden Marokkos. In den 60er-Jahren wurden sogenannte Gastarbeiter dort geworben, die in den Erzminen arbeiteten und viel Erfahrung im Bergbau mitbrachten. Sie arbeiteten im Ruhrgebiet und auch in Düsseldorf, im Stahlwerk hinter dem Bahnhof. Das war die Zeit als dieser Stadtteil fast ausschließlich durch Unterführungen erreichbar war. In Nador und auch in den marokkanischen Cafés in Oberbilk wird wenig arabisch gesprochen, sondern eher berberisch, oder besser tamaziɣt. So nennen die Menschen es selbst.
Sihams Erzählungen über Marokko in der Maus-Sommerreise erwähnen also, ganz am Rande, auch die Geschichte Düsseldorfs – vor der Zeit als Mode- und Landeshauptstadt die Identität der Stadt prägten. Hinter dem Bahnhof lagen die Stahl- und Gußwerke, im Norden die Munitionsfabrik von Rheinmetall und die Kasernen.
Wer mehr über die Geschichte Oberbilks erfahren möchte, dem sei Dieter Fortes Romantrilogie ‚Das Haus auf meinen Schultern‘ empfohlen.