Ellen Auerbach eröffnete im Oktober 1993 ihre Ausstellung im Essener Folkwang Museum. Sie war 87 Jahre alt und ein ganzes Jahrzehnt ihres Lebens sollte noch vor ihr liegen. Die Ausstellung zeigte Fotografien, die in Berlin zwischen 1928 und 1933 gemeinsam mit Grete Stern entstanden. Ich war zur Eröffnung gefahren und mich faszinierten die Zeitlosigkeit der Portraits, die Spielfreude der Bilder und die Fotografin! Ich nahm all meinen Mut zusammen, machte ihr ein Kompliment zu ihrer Arbeit und fragte sie, meinen Katalog zu signieren. Es war nur eine kleine Begegnung, aber in ihrer zutiefst freundlichen Reaktion auf Augenhöhe zeigte mir Ellen Auerbach, dass sie nicht auf dem Sockel stehen wolle, auf den ich sie gerade hob. Viel später sollte ich bemerken, dass es über diese kurze Begegnung hinaus zwei weitere Berührungspunkte gibt: Zen und der kleine Ort Methana auf dem Peleponnes.
Als ich in den 90er Jahren in Berlin lebte, hatte ich durch das verborgene Museum und andere Ausstellungsorte die Arbeit einiger Fotografinnen der Weimarer Republik kennengelernt. Ich war fasziniert von Eva Besnyö (1910-2003), Lotte Jacobi (1896-1990), Germaine Krull (1897-1985), Ilse Bing (1899-1998) und Marianne Breslauer (1909-2001) – um nur einige zu nennen. Manche wurden von ihren Familien, denen ihre Bildung ein Anliegen war, gefördert diesen neuen Beruf zu ergreifen, viele waren jüdisch, fast alle verließen Deutschland und sicherten mit der Fotografie ihren Lebensunterhalt. Ich habe dies immer als großen Kulturverlust erlebt, als eine Lücke die blieb. Sehr schön die Ausnahme zu sehen, und die Freundschaft welche Barbara Klemm, die beindruckende Nachkriegsfotografin, mit Ellen Auerbach verband.
Berlin
Im Alter von 22 Jahren ging Ellen Rosenberg (20.5.1906-30.7.2004) nach Berlin, um dort bei Walter Peterhans zu lernen. Sie entschied sich als junge Frau für Fotografie anstatt Bildhauerei, weil sie damit leichter – im wahrsten Sinne des Wortes – Geld verdienen könne. Ihre erste Kamera erhielt sie als Honorar von einem Onkel, den sie modelliert hatte.
„Peterhans brachte uns gleich zu Beginn bei, erst genau zu sehen, um zu wissen, was man macht, und dann erst die Kamera aufzubauen. Es war verpönt, herumzugehen und durch das Objektiv den besten Blickwinkel zu suchen. Er sagte: »Ihr müßt sehen wie ein Kameraauge.« Wir sind immer davon ausgegangen, daß es in der Natur der Fotografie liegt, Strukturen besonders echt wiederzugeben, und wir wollten vermeiden, Effekte durch zu starke Kontraste zu erzielen, wie es damals üblich war. Peterhans nannte das »mit dem Hammer fotografieren«. Ein Foto sollte möglichst viele Grautöne vom tiefsten Schwarz bis zum reinen Weiß aufweisen, was nicht nur eine genaue Kenntnis der Technik, sondern auch der Arbeit in der Dunkelkammer voraussetzte.“[1]
Erst jetzt beim nochmaligen Studium, wird mir klar, dass sie als Privatschülerin kurz & intensiv von Peterhans lernte und sich dann autodidatisch viel erarbeitete, gemeinsam mit ihrer Freundin Grete Stern im Studio ringl+pit. In dieser Zeit lernt sie auch ihren späteren Mann, den Bühnenbildner Walter Auerbach kennen.
Tel Aviv, London, Philadelphia, NYC, Kalifornien, NYC
Grete Stern hatte geerbt und ermöglichte Ellen Auerbach 1933 die Emigration nach Tel Aviv. Für Ellen folgten Lebensstationen in London, Philadelphia, New York, Californien und schließlich nach einer Europareise in den 50er Jahren bezieht sie in New York eine Wohnung, in der sie bis zum Ende ihres Lebens bleibt, wie ich in der von Inka Graeve Ingelmann verfassten Biographie lese.
„Ihre Wohnung war schmal und langgestreckt, im vorderen, zur Straße gelegenen, Teil lag ihr Wohn- und Schafzimmer, hinten ihre kleine Küche, die nur selten Sonnenlicht bekam und außer für das Notwendigste nur für einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen Platz bot. Bei meinem ersten Besuch – wir lernten uns im Winter 1988 im Rahmen meiner Recherchen zum Werk des Bauhaus-Fotografen Walter Peterhans kennen, bei dem sie 1929 studiert hatte – fand ich noch drei weitere „Bewohner“ dieser eigentümlichen Küche vor, die mit den Jahren, in denen unsere Beziehung zu einer Freundschaft wurde, verschwanden: ein behäbiger lautstarker Kühlschrank, der bereits hier hauste, als Ellen Mitte der 50er Jahre einzog, ein schon fast antik anmutender Gasherd, der unbeabsichtigt ihr Leben beinahe einige Jahre zu früh beendet hätte, und ein Vergrößerungsapparat, das klassische Kücheninventar einer Avantgardefotografin.„[2]
Inka Graeve Ingelmann hat über viele Jahre mit Ellen Auerbach Gepräche geführt und im Rahmen einer Dissertation ihr Leben und Werk sichtbar gemacht.
Die Fotografin blieb bis in die 70er Jahre in Deutschland unbekannt. Das Interesse an ihr begann über ihre Rolle als Schülerin von Peterhans, begab sich aber erstmal nicht darüberhinaus. Ihr Werk wurde erstmals 1998 in der Akademie der Künste vollständig gewürdigt. Da war sie bereits 92 Jahre alt.
„Selbst als sehr alte Frau und weltweit anerkannte Fotografin hatte Ellen Auerbach Zweifel, ob ihr künstlerisches Werk tatsächlich etwas tauge. Sie war stolz, gemeinsam mit Grete Stern als Avantgardefotografin wiederentdeckt worden zu sein, sie genoß den Ruhm, die Aufmerksamkeit und die Tatsache, endlich mit ihrer Fotografie auch Geld zu verdienen, doch zugleich schmerzte es sie, daß ihr eigenes, nach 1933 entstandenes Werk weiterhin kaum Beachtung fand.“ [3]
Ihr Leben hat die Kennzeichen von Emigration, von Suche. „So hängt über den Jahren zwischen 1944 und 1965 ein dichter grauer Schleier, nur wenige Dokumente und Aufzeichnungen helfen ihren Lebensweg zumindest skizzenhaft nachzuzeichnen.“ [4] Sie trennte sich 1944 von Walter Auerbach und musste 1946, als sie endlich die finanziellen Mittel hatte nach Argentinien zu reisen, um beide, Grete Stern und ihren Bruder wiederzusehen, feststellen, dass Grete und sie kein Liebespaar mehr waren. Eine tiefe Freundschaft blieb bestehen. Im Frühjahr 1953 kehrte Ellen nach siebzehn Jahren zum ersten Mal nach Europa zurück. Sie sieht ihre Eltern wieder.
Zen
„Im Zentrum ihres Lebens Mitte der 50er Jahre stand die Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus und hier vor allem mit den Lehren Daisetz Teitaro Suzukis. Der japanische Philosoph gilt als einer der wichtigsten Gelehrten und Vermittler des Zen-Buddhismus im Westen. Als Professor lehrte er zeitweise in den USA, übersetzte buddhistische Schriften ins Englische und bemühte sich in seinen eigenen Schriften, der westlichen Welt fernöstlich-buddhistisches Denken nahezubringen. Ellen besuchte regelmäßig seine Vorträge, seine Schrift ‚Living in the Light of Eternity’ beeinflußte sie nachhaltig. Doch vor allem machte Suzuki sie auf das Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens des deutschen Philosophen Eugen Herrigel aufmerksam, zu dem er für die englische Erstveröffentlichung 1953 eine Einleitung verfaßt hatte. In Herrigels Beschreibung der hohen japanischen Kunst des Bogenschießens, in der im entscheidenden Moment Schütze, Pfeil und Zielscheibe zu einer Wirklichkeit verschmelzen, erkannte Ellen Auerbach Parallelen zu ihrer fotografischen Vorgehensweise, wie sie sie seit ihrer Emigration entwickelt hatte.“[5]
„Eine Vielzahl von Fotografen, die sich der Momentfotografie gewidmet hatten, war von Herrigel beeindruckt, so u. a. auch Henri Cartier-Bresson, der die Lektüre allen angehenden Fotografen empfahl.“[6]
Zen war trendy. D.T. Suzuki beeinflußte eine Generation: Erich Fromm, Charlotte Selver, John Cage, Alan Watts, Strömungen wie das Esalen-Institut, die Performancekünstlerin Meredith Monk.
1957 portraitierte die Fotografin Suzuki für die New York Times.
Fragen, die ich mir stelle
„Gab es eine Verbindung zwischen D.T. Suzuki und Chögyam Trungpa Rinpoche, dessen Lehren die Grundlage für Miksang sind?“ frage ich meinen Lehrer David Schneider. Sie konnten sich nicht begegnet sein und doch ähneln sich manche Texte von Suzuki und Trungpa. Suzuki starb 1966 und Trungpa ging Anfang der 70-er Jahre in die USA. „They have been drinking from the same source.“ ist David’s Antwort und: „Direkt nach seiner Ankunft in den USA besuchte Chögyam Trungpa die Zen Community. So z.B. Allan Watts und Suzuki Roshi den Leiter des Zen Centre in San Francisco. Suzuki Roshi wurde ein naher Freund und beeinflusste Chögyam Trungpa’s Lehren.
David Schneider, Meditationslehrer, Autor und Kalligraph, berichtet übrigens am 21. Mai über den Besuch von Chögyam Trungpa im San Francisco Zen Center.
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Mount Tamalpais & Etel Adnan
Zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Besuch Trungpas bei Allan Watts aber auch in anderen Zusammenhängen mit den Poeten der Beat Generattion wird auch der Mount Tamalpais genannt. Ich staune nicht schlecht, als ich vor den vielen Zeichnungen und Malereien dieses Berges in der empfehlenswerten Ausstellung von Etel Adnan in der Kunstsammlung NRW stehe. Die Philosophin und Poetin Etel Adnan geht 1955 nach Berkeley, California und beginnt dort zu malen. Auch sie hatte Verbindung zur sogenannten Beat Generation. Auch Etel Adnan ist übrigens ebenso eine Künstlerin, die in Deutschland erst hochaltrig Beachtung findet. Zu verdanken ist dies einer veränderten Museumskultur, die den männlichen und eurozentristischen Blick weiten möchte.
Vielleicht kann man sagen, D.T. Suzuki und Chögyam Trungpa sind sich nie begegnet, aber „sie tranken nicht nur aus derselben Quelle“, sondern lehrten auch teilweise die gleichen Schülerinnen und Schüler und sie beeinflussten eine Generation, die wiederum die Pop-Kultur meiner Generation trug. Patti Smith, Joni Mitchell, Laurie Anderson, Leonhard Cohen sind nur einige Beispiele meiner westdeutschen 70er. Aber zurück zu den 50ern von Ellen Auerbach.
Ellen Auerbach’s Griechenlandreise
Sie reist 1953 nach Griechenland. Patras, Athen, Aegina, Methana, Poros… lese ich unter den Bildern im Archiv der Akademie der Künste. Wir besuchten 2018 und dann 2019 in unserem Miksang Intensive diese Orte am Saronischen Golf. Ich hatte keine Ahnung und sah später voller Überraschung online Ellen Auerbachs schönen Fotografien. Das Telegrafenamt von Aegina, bügelnde Frauen im Hotel Akti an der Promenade von Methana, die Häfen. Auerbach hat Methana erlebt, als die Thermalquellen es zu einem beliebten Kurort machten. Die Bäder sind heute geschlossen, aber wir können in kleinen natürlichen Becken am Meer das warme sulphurhaltige Wasser genießen.
Ellen Auerbach war damals 47 Jahre alt. Griechenland „inspirierte (…) sie erstmals nach vielen Jahren zu einer umfangreichen fotografischen Serie. Es entstanden Aufnahmen von den Sehenswürdigkeiten, der Landschaft, aber vor allem vom griechischen Alltagsleben in den kleinen Dörfern um Athen, auf dem Peloponnes und auf Inseln wie Kreta und Ägina Von den vielen Aufnahmen, die sie auf ihren Reisen machte, vergrößerte Ellen Auerbach im allgemeinen nur wenige – die Griechenland-Reise bildete eine Ausnahme. Hier entstand ein größeres Konvolut, das ihr Interesse an den Menschen, deren einfacher, naturverbundener Lebensweise, ihrer Freundlichkeit und Unmittelbarkeit deutlich macht und das erstmals im Rahmen ihrer Retrospektive in der Akademie der Künste 1998 vorgestellt wurde. Die Griechenlandbilder markieren einen Schritt hin zu einer stärker narrativen Bildsprache, …“[7]
Klick hier, um das Album Griechenland anzuschauen
Einige Jahre später legte sie die Kamera beiseite und wurde Kindertheraputin.
Zitate, die mich ansprechen
„Das dritte Auge – Ellen Auerbachs seit ihrer Emigration entwickelter Ansatz der Momentfotografie basierte wie bei Cartier-Bresson auf einer intuitiven Erfahrung eines Wirklichkeitsauschnittes und seiner Übertragung in eine bildnerische Komposition. Dabei war die Fotografie von einer Frage geleitet, die sie seit ihrer Kindheit unaufhörlich beschäftigte und auf die sie lange keine befriedigende Antwort erhielt: „Why is there something and not nothing?“ Der Versuch, dem Ausdruck zu verleihen, was sich hinter den oberflächlichen Erscheinungen der Wirklichkeit verbirgt, was fühlbar, aber nicht sichtbar ist, wurde zu einem zentralen Thema von Ellen Auerbachs künstlerischem Werk und kennzeichnete zugleich auch ihre persönliche Sinnsuche.“[8]
„Die Fotografie ist kein Mittel des Sehens, sondern das Mittel das Gesehene in einer Fotografie manifest zu machen.“ Diese Manifestationen der individuellen Wahrnehmung wollen das Innen, das Wesen der Dinge, nach außen tragen: „Sie sollen in einer realistischen Art etwas zeigen, was dem realistischen Auge eher unsehbar bleibt.
Ein Baum soll die Baumschaft zeigen. Ein Hund das Hundige an sich. Ein Mensch das Menschliche. Es ist sehr schwer, weil wir gewohnt sind allem einen Namen und Eigenschaften zu geben und es uns hindert eine grössere unterliegende Wirklichkeit zu erahnen.“
Ellen Auerbach wird beschrieben als eine Fotografin, die ein breites Werk hat, keine enge Stilrichtung, die etwas zeitloses in ihren Bildern einfing, die nicht dokumentierte, sondern sich dem Moment hingab, wobei nicht unedingt dessen Höhepunkt ihr Interesse war sondern ein sich-vertraut-machen.
„Man muss in dem Moment die Gedanken so ausschalten, dass man zwar genau aufpasst auf die technischen Notwenigkeiten; Belichtung usw. aber nicht versucht die eigene Meinung dem Bild aufzudrücken. Sondern man versucht Eins zu sein mit dem Objekt, der Kamera und sich.“[9]
Ich mag es, wenn mich etwas neugierig macht und ich habe für diesen Text meine Auerbach Bücher wieder betrachtet und gelesen, habe im Archiv der Akademie der Künste gestöbert, die Dokumentation von Antonia Lerch angeschaut (Ich habe sogar noch eine Kopie auf VHS davon ;-). Aber es ist mir auch sehr bewusst, dass ich nur ein Schlaglicht werfe auf die Fotografin und Person Ellen Auerbach, ein sehr persönliches.
Zur Galerie einiger Fotografien auf Artsy
Digitales Archiv der Fotografie in der Akademie der Künste
Bücher
Ellen Auerbach: Das dritte Auge, Leben und Werk, Inka Graeve Ingelmann
Ellen Auerbach, Berlin – Tel Aviv – London – New York, Prestel
All die Neuanfänge, Ellen Auerbach, Käthe Kollwitz Museum
Fotografieren hieß teilhaben, Fotografinnen der Weimarer Republik, Museum Folkwang
ringl + pit, Museum Folkwang
Walter Peterhans, Fotografien 1927-38, Museum Folkwang
Film
Drei Fotografinnen, Filmportraits von Antonia Lerch
Ein Interview mit Barbara Klemm
[1] bis [2], [3], [4] [5] [6] [7] [8] Ellen Auerbach: Das dritte Auge, Leben und Werk, Inka Graeve Ingelmann
[9] Drei Fotografinnen, Dokumentation von Antonia Lerch
Bügelnde Frauen und Telegrafenamt
Copyright: Ellen Auerbach, Akademie der Künste, Berlin
Danke für diese Anregung. Ich kenne dieses freudige Staunen, wenn sich plötzlich Querverbindungrn auftun.
Und mein Interesse für die Reise nach Griechenland wächst.. .
Lg gaby