Schneeflocken und Blütenblätter

Die Muster von Schneeflocken umspannen sechs Ecken oder bilden auch Sternenformen. Je länger die Schneeflocke existiert um so mehr wächst und verzweigt sie sich. Vor einigen Jahren war ich in Österreich und wir gingen Schneeschuhwandern. Ein älterer freundlicher Herr führte unsere Gruppe zu einer Lichtung im Wald. Der Schnee war mehrfach geschmolzen und gefroren und so zu einem Gebilde aus Kristallen gewachsen. An den äußeren Spitzen hatten sich die Flocken immer mehr erweitert und verfeinert.

In der Natur finden wir viele Phänome von Mustern. Die Art und Weise wie sich etwas zusammenfügt, lässt es uns als Ganzes erleben: Blütenblätter bilden eine Blüte, abgezupfte Blütenblätter auf dem Tisch liegend sind keine Blüte mehr.

Am Fluß gibt es Miet-Gemüsegärten, Felder, die in jedem Frühjahr in Parzellen aufgeteilt werden. Der Bauer setzt in Reihen kleine Salat- oder Kohlsetzlinge oder sät ein, wo demnächst Erbsen oder Bohnen wachsen. Du kannst diese Reihung auf dem Feld ablesen. Am Tag der Eröffnung werden quer dazu einzelne Parzellen abgegrenzt und dann siehst du fix die Handschrift der einzelnen Hobbygärtner:innen, zwischen ordentlich und wild findet sich alles.

Wir kreieren sie in unserer Umgebung und tragen ein Universum an Mustern in uns selbst. Gewohnheiten bestimmen unseren Alltag, wir gestalten Rhythmen. Und wir folgen Mustern in der Auswahl dessen, was wir bemerken, etwa wenn wir Menschen begegnen? Achte ich auf den Gesichtsausdruck, die Körperbewegung, den Schatten der Person, die Tönung der Haut oder die Stimmung die ausgestrahlt wird. Meine visuelle Welt kann ich abbilden, aber spannend ist die Frage was ich addiere. Was ist mein Verhaltensmuster, was konstruiere ich, was projeziere ich, was blende ich aus.

Beginnen wir kontemplative Fotografie zu üben, so können neue Gewohnheiten entstehen. Je länger wir Miksang ausüben sogar eine Art ‚Miksangdatenbank’, eine neu etablierte Erlebniswelt. Was beachte ich, wie hebe ich die Kamera, wie bilde ich ab, welche Schere ist im Kopf. Die Idee hinter solchen Automatismen ist oft: das bin ich! Wenn ich in gewisser Art agiere, bin ich zufrieden, das ist mein „Stil“, meine Art. Ich möchte anregen den frischen Blick in die ‚offene Landschaft’ zu wagen: ich habe ein Muster zu handeln: okay, vielleicht kann ich darüber hinaus schauen, weiter tiefer, mehr, offen. Schauen!

Aufmerksamkeit für Gewohnheiten, Routinen bedeutet nicht sie in gute oder schlechte einzuteilen. Interessant ist jedoch unser Zufriedenheitsformat zu kennen und zu bemerken, wann wir dieses erfüllen und wiederholen wollen. Ich plädiere natürlich für ein Vergnügen auch an ungewöhnlichen Wahrnehmungen, die sich einschmuggeln. Und ich habe die Bitte die so entstandenen Bilder erstmal nicht zu löschen. Denn auch das Löschen könnte ja auf einem Gewohnheitsmuster beruhen. Erstmal nicht kritisieren, sondern ein bisschen die Tür auflassen. Eine Weile später stelle ich vielleicht fest, dass mich das Bild immer noch anspricht, dass ich mich verbunden fühle und genau das auch in dem Moment der Aufnahme empfunden habe. Vielleicht ist es nicht ein so lautes Bild.

Es gibt sinnvolle Routinen und einfach festgebackene. Die kontemplative Fotografie, in der frische Wahrnehmung im Fokus ist, ist ein Spielfeld diese Begrenzungen zu entdecken und über deren Rand hinaus zu erkunden. Und für mich ist sie auch ein Hilfsmittel die vielen verstörenden Bilder dieser Tage als solche zu erleben und wach zu bleiben.

In meinem Bücherregal fand ich das Buch von Pema Chödrön: Den Sprung wagen.
Es passt ganz gut zum Thema.

Auf dem Foto siehst du im Hintergrund ein Bild von Hilma Af Klint. Von März bis August 2024 werden ihre beindruckenden Werke im K20 in Düsseldorf zu sehen sein.

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